
Die ersten Lebensjahre geben eine Signatur mit auf den Lebensweg, die das ganze Leben bleibt. Nie wieder wird so intensiv, so mit dem ganzen Körper, mit allen Sinnen gelernt wie in dieser Zeit. Das Kind ist ein eigenes individuelles Wesen. Es lernt durch das, was es sieht, fühlt, hört, erlebt, sowie durch Eigentätigkeit. Wir können den Kindern nichts eintrichtern, denn sie orientieren sich an dem, was vorgelebt wird. Das weckt den Impuls nachzuahmen. Diese Art zu lernen bleibt, bis die Milchzähne wackeln. In der Zeit von null bis sieben schöpft das Kind maßgebende Kräfte für sein Leben.
Liebe und Nestwärme
Mit der Geburt verliert jeder Mensch seine natürliche Grenze, die ihm seine Entwicklung ermöglichte und ihm monatelang Halt und Geborgenheit gewährte. Doch das Kind ist weiterhin stark verbunden mit den Eltern. Es braucht die Nähe zu ihnen, gegebenenfalls zu einer Bezugsperson, die zuverlässig immer da ist, die ihm Liebe und Halt entgegenbringt. Für jedes Baby ist es lebensnotwendig, am eigenen Leib zu spüren, wer es ist, der ihm in der großen fremden Welt Halt geben kann, auf den es sich verlassen kann, der es lieb hat. Der auch kommt, wenn es weinen muss, der es tröstet und Sicherheit geben kann.
Geborgen im Bettchen
Vor der Geburt hat das Baby seine schützende Hülle im Mutterleib. Nun, im eigenen Bett, braucht es ebenfalls eine heimelige Hülle. Die hat es unter einem Wiegenhimmel aus feinem, hellem Stoff. Es sieht also nicht nur niedlich aus, wenn das Kopfende des Babybetts mit einem sogenannten "Himmel" versehen ist. Beim Hinlegen ins Bettchen spürt das Baby, allein schon durch das samtigere Licht: Ah, hier ist mein Reich. Das hilft ihm auch, eher zur Ruhe zu kommen. Wird das Baby nach draußen mitgenommen, braucht es ebenfalls eine Hülle über seinem Kopf, um die noch ungewohnte Außenwelt abzuschirmen. In einem Kinderwagen mit Verdeck hat es sie. Da ist es geborgen und kann sich sicher fühlen. Vorgeschnallt vor den Bauch des Erwachsenen und mit Blick auf die laute, bunte Welt, fehlt sie ihm. Ungeschützt ist es dann einer Flut von Sinneseindrücken ausgesetzt, die es noch überhaupt nicht verkraften kann.
Pucken
Als Ungeborenes war das Kind ganz eng umhüllt und sicher gehalten. Neugeborenen, die oft unruhig sind und viel schreien, hilft es, gepuckt zu werden. Sie kommen dann leichter zur Ruhe, da sie wieder einen festen Halt spüren, ähnlich wie im Mutterleib. Gepuckte Babys müssen viel weniger schreien. Sie schlafen besser und länger und wachen seltener spontan auf.
Pucken – damit ist gemeint, dass Rumpf und Beine des Babys auf eine bestimmte Weise in ein größeres Tuch gewickelt werden. Pucken erfordert genaue Anleitung. Diese kann eine erfahrene Hebamme geben. Es gibt auch spezielle Lektüre dazu. Gepuckt werden darf lediglich in den ersten Lebensmonaten, bevor sich das Baby selbst umdrehen kann.
Gesehen werden
Besonders berührend ist es zu erleben, dass ein Neugeborenes bereits nach wenigen Tagen lächelt. Anfangs ist es noch das sogenannte Engelslächeln, das sich auch mitten im Schlaf zeigt. Etwa nach sechs Wochen kommt dann der große Moment, wo wir merken: Das Baby lacht mich an. Der Erwachsene freut sich und lächelt zurück. Auch das Baby freut sich und lacht wieder: ein freudiges Geben und Nehmen.
Blickkontakt
Blickkontakt aufzunehmen ist eine der bemerkenswertesten menschlichen Fähigkeiten, ist ja doch eine verbindliche Beziehung von Mensch zu Mensch überhaupt dadurch erst möglich. Blicken wir das uns anvertraute Kind freundlich an, dann geben wir ihm Rückhalt und stärken sein Selbstwertgefühl. Deswegen ein Kind nie nebenher versorgen, füttern oder pflegen – nie vor dem laufenden Fernseher oder anderen Medien.
Spüren wir einmal nach: Wie würden wir uns fühlen, als solch ein kleiner Erdenbürger, wenn Mama, Papa einen gar nicht anschauen wollen? Wenn nur ihr Körper da ist – ohne Zuwendung, ohne Blickkontakt? Wie mag es dem etwa acht Monate alten Kind im folgenden Beispiel gehen?
Wie fühlt sich das kleine Kind – so nebenher?
Das Kind ist mit Vater und Mutter in einer Gartenwirtschaft. Es liegt in seinem Kinderwagen. Beide Eltern haben eine große Tageszeitung vor sich auf dem Tisch. Beide sind vertieft in ihr Blatt. Das Kind wird wach. Es macht sich bemerkbar: «Rrrrö, drö, rrrrö…» Es streckt die Händchen, richtet den Blick zur Mutter. Es will Kontakt aufnehmen. Die Mutter, den Blick auf die Zeitung geheftet, kramt mit einer Hand nach der Flasche. Die steckt sie dem Kind in den Mund, ohne den Blick von ihrer Zeitung zu heben. Wie anders geht es dem kleinen Erdenbürger in der folgenden Situation! Die Mutter schiebt ihr Kind in seinem Kinderwagen so, dass sie ihm ins Gesicht blicken kann. Darauf angesprochen, strahlt sie: «Ja, natürlich will ich mein Baby anschauen. Wir müssen uns doch erst miteinander anfreunden. Wir plaudern auch miteinander.»
Für das Miteinander-Anfreunden ist Zuwendung nötig. Anschauen, anlächeln, ansprechen: das pflegt eine gute Bindung. Solch einen liebevollen Umgang braucht das Kind natürlich nicht nur in den ersten Lebenswochen, sondern durch die ganze Erziehungszeit hindurch.
Wenn das Baby weint
"Ach, wenn mein Baby doch nur sprechen könnte", sagt eine junge Mutter. Gerade hat es getrunken. Es ist frisch gewickelt. "Warum schreist du denn so», ruft sie schließlich leicht genervt. «Willst du noch trinken?» Das Baby dreht den Kopf weg. Was denn dann? Ins Bett legen? O nein, jetzt schreit es noch mehr. Wieder raus … wieder rein … Jemand sagt: «Das Baby braucht Rhythmus.»
Was ist gemeint? Rhythmus ist Füttern und Pflegen zu möglichst festen Zeiten: das Kind hochnehmen und dabei mit ihm schmusen und es streicheln, danach trinkt es, dann wird es gewickelt; dann noch ein bisschen mit ihm spielen und es wach ins Bett legen. Immer in der gleichen Reihenfolge. Immer auf die gleiche Weise. Das gibt dem Baby Sicherheit. So einen Rhythmus einzuführen ist ein wichtiges Ziel. Ganz bestimmt.
Doch ein Baby, das sehr schreit, braucht auf jeden Fall erst mal Aufmerksamkeit. Es braucht Zuwendung über den Tastsinn. Also: das Baby gut in den Armen halten, sodass es mit seinem Körper wirklich Halt spürt. Dabei auch eine Weile in dieser Haltung bleiben. Das Kind weiterhin halten, statt gleich wieder was anderes auszuprobieren. Und es streicheln. Und summen.
Die singende, summende Stimme wirkt Wunder. Babys werden sofort ruhiger, wenn wir eine kleine Melodie anstimmen und wiederholen. Dabei das Kind sanft wiegen. Im gleichen Rhythmus. Hin und her. Hin und her. Bis die Körperspannung nachlässt. Das Wiegen, so bestätigt die Forschung, ist ein Symbol für den Frieden und die Geborgenheit unserer Kinder.
Vorsicht – nicht schütteln!
Alles probiert – und das Baby schreit trotzdem noch? Die Eltern sind am Ende, ihre Nerven liegen blank. «Ich kann nicht mehr!»
Jetzt ist ein kritischer Punkt erreicht. Bevor etwas Unbedachtes passiert, lassen Sie Ihr Kind besser im Bettchen. Lieber schreien lassen und einen Moment rausgehen. Denn Eltern, die außer sich sind, können nie und nimmer ihr Baby beruhigen, geschweige denn ihm Nestwärme geben. Eher besteht jetzt die Gefahr, panisch zu reagieren und das Kind zu schütteln. Doch Vorsicht, Vorsicht! Nie schütteln! Auch nicht «nur ganz wenig».
Überhaupt nicht schütteln. Denn leicht, allzu leicht kann ein Baby dadurch ein Schütteltrauma (SBS = «Shaken Baby Syndrom») erleiden. Mit bleibenden Folgeschäden. Der Grund für die gravierenden Folgen des SBS ist, laut einer Studie, unter anderem «der überproportional große Kopf des Säuglings, … die schwache Nackenmuskulatur mit fehlender Kopfhaltungskontrolle, die offenen Nähte und Fontanelle». Bevor es kritisch wird, sollten Sie fachliche Hilfe holen: eine Hebamme anrufen oder eine Schreiambulanz. Und außerdem versuchen, selbst wieder «runterzukommen». Hilfreich ist beispielsweise: Ärmel hochkrempeln und kaltes Wasser über den Puls laufen lassen.
Gehen und Sprechen
Sobald es mit dem Gehen klappt, sind die Hände frei. Jetzt will das Kind sprechen. Von selbst, aus eigenem Antrieb heraus versucht es, Worte nachzusprechen. Aus dem Sprechenkönnen erst entfaltet sich das Denken. Nicht umgekehrt. So ist der natürlich vorgesehene Weg.
Gönnen wir also unseren Kindern Anstrengungen, anstatt ihnen gleich zu Hilfe zu eilen. Sie brauchen Gelegenheit, eigene Fähigkeiten auszuprobieren. Gelingt etwas, erfahren sie Selbstbestätigung und damit ein Glückgefühl, das sonst glattweg verpasst würde. Ermutigen wir sie. Das macht unsere Kinder innerlich stark.
Der Drang zur Eigenaktivität
Eine wundervolle Gabe, die einem kleinen Kind mitgegeben ist: der Drang zur Eigenaktivität. Damit gelingt es ihm, sich aus der Schwerkraft zu erheben. Das Ganze mit einer gewissen Gelassenheit. Da wird probiert und probiert. Ohne Übertreibung. Dann eben am nächsten Tag weiter. Doch unbeirrt. Und gut gelaunt.
Das Kind braucht niemanden, der mit ihm übt. Es tut das einfach von selbst – solange kein Erwachsener sich einmischt. Unnötiges «Helfen» sollte man also besser bleiben lassen. Vielmehr das Kind selbst erringen lassen, was in ihm veranlagt ist: sich aus eigenem Antrieb in die Aufrechte zu erheben. Eines Tages ist es dann so weit: Das Kind kann stehen! Von selbst! Ohne sich festzuhalten. Es ist völlig begeistert von seiner neuen Errungenschaft. Und dann die ersten Schritte ins Leben …
Lassen Sie sich als Eltern keinesfalls verunsichern, wenn das Nachbarkind schon läuft und Ihres immer noch nicht. Hier zeigt sich: Das Laufenlernen ist ein absolut individueller Prozess. Ein Kind läuft, sobald es in seiner körperlichen Konstitution so weit ist – und keinen Tag früher.
Die ersten Schritte ins Leben
Herrlich, nun sicheren Schrittes voranzukommen! Wie die Großen. Je mehr Gelegenheit das Kind zur Eigenbewegung hat, umso sicherer wird es. Was für ein Vergnügen, den eigenen Körper in Leichtigkeit zu versetzen: springen, hüpfen, trippeln, wippen, tanzen! Hier verbinden sich – im besten Sinne – das Angenehme mit dem Nützlichen: All diese Bewegungen, die dem kleinen Kind so viel Freude machen, fördern die motorischen Fähigkeiten, und sie stärken sein Selbstwertgefühl.
Hören wir auf das, was unsere Kinder uns insgeheim zurufen: «Erwachsene – lasst uns ganz viel selber laufen. Chauffiert uns nicht so oft. Lasst uns täglich zu Fuß unterwegs sein – wenigstens kleine Wege!»
Ohne Schnuller und Flasche
Warum eigentlich kein Schnuller und kein Fläschchen tagsüber für Kinder, die schon stehen und laufen können? Nuckeln hindert die Sprachorgane, sich vom Saugmodus zum Sprechmodus umzubilden.
Überzeugen wir uns selbst, wie es sich im Saugmodus spricht: Ziehen wir versuchshalber die Wangenmuskulatur ein und drücken die Zunge gegen den Gaumen, als ob wir aus dem Fläschchen trinken wollten. Versuchen wir nun, mit dieser Muskelstellung zu sprechen. Da kommt höchstens ein Nuscheln heraus. So geht es auch Kleinkindern, die tagsüber noch Schnuller oder Saugflasche im Mund haben. Solche Fremdkörper stören im Mund. Die Kinder sprechen dann weniger, und sie sprechen unartikuliert.
Kinder wollen Selberkönner sein - Alleine!
Kinder wollen gar nicht von vorne bis hinten bedient werden. Das teilen sie uns ja auch unmissverständlich mit. So gegen Ende des zweiten Lebensjahres heißt es: «Selber»! oder: «Alleine!»
Damit ist alles gesagt. Sehr vehement oft, damit wir Erwachsenen auch kapieren: Stimmt, da ist ein eigener Mensch, der sich jetzt tatkräftig einbringen will. Alleine die Socken anziehen. Die Hose, die Schuhe. Besser kann man es im Grunde gar nicht wünschen.
Aber genau an dieser Stelle kommt häufig ein elterlicher Einwand: «Ich kann doch nicht ewig warten, bis der Kleine das selbst macht. Schließlich muss es ja schnell gehen.» Dabei zeigt sich meist: Je schneller wir wollen, umso mehr geht das Kind in Widerstand und umso länger dauert es.
Hektik lässt uns oft den großen Schatz übersehen, den Kinder mitbringen. Welcher Schatz ist gemeint? Kinder wollen Selberkönner sein. Deswegen: Kinder zum Mittun ermuntern. Sie freuen sich, wenn sie sehen: Das kann ich ja schon selber. So wie Peter in dem folgenden Beispiel.
Peter, zwei Jahre alt, sitzt bei Mama auf dem Schoß. Schlafsack ausziehen: Die Mama hat den Reißverschluss ein bisschen gelockert. Sie schaut Peter an und sagt: «Da kannst du jetzt ziehen.» Peter liebt das. «Ziehen!», ruft er und freut sich, wie gut es ihm gelingt. Schon gucken die Füßchen raus. Und er kann aus dem Schlafsack steigen. Auch beim Anziehen werden ihm die Sachen nicht einfach übergestülpt, Peter ist angesprochen: «Schau, jetzt ziehen wir die Socken an. Erst den einen. Und dann den anderen.» Die Mutter hält Blickkontakt zu Peter und gibt im immer wieder Gelegenheit, selbst mit Hand anzulegen. So ist er ganz bei der Sache. So lernt er nach und nach, sich anzuziehen, und kann zunehmend mehr.
Ab wann können Kinder schon mithelfen?
Mithelfen macht Kindern Freude. Ein Eineinhalbjähriger mit Mama im Bad. Mama wischt die Fliesen ab. Der Kleine nimmt sich auch einen Lappen und wischt ebenfalls. Vorbild wirkt ansteckend. Wichtig ist jetzt, dass wir die Kinder nicht wegschicken, sondern sie bestärken und ihnen Rückmeldung geben: «Was für ein guter Helfer du schon bist!» Mithelfen zu dürfen ist für die Kinder interessanter, als allein mit Spielsachen zu spielen.
Eineinhalb- bis Zweijährige können schon mithelfen, den Einkaufskorb auszupacken, die Bettdecke aufzuschütteln, die vorbereitete Wäsche in die Waschmaschine zu stopfen und sie wieder herauszuholen. Sie können auch schon in Begleitung ganz vorsichtig jeweils eine Tasse zum Esstisch tragen oder einen Teller. «Trägst du bitte den Teller?»
Elementares Verlangen nach Nähe
Ein kleines Kind hat in den ersten zwei bis drei Lebensjahren ein elementares Verlangen nach Nähe und emotionaler Bindung an die Eltern, selbst wenn es schon ganz mutig auf Erkundungstour geht. Es ist ihm wichtig, im Blick des Erwachsenen zu bleiben. Zwischendrin wendet es sich ihm immer wieder kurz zu, um zu erkunden: Schaust du auch?
Deswegen unbedingt im Blickkontakt sein. Daran merkt das Kind: Ist alles in Ordnung? Also gut, dann weiter auf Entdeckungsreise! Mit dieser ständig vom Kind eingeholten Rückversicherung stärkt es sein Selbstwertgefühl.
Oft ist es jedoch für Eltern notwendig zu überlegen: Wie ist denn das, wenn wir tagsüber nicht bei unserem Kind sein können?
Und wenn das Kind in die Krippe kommt?
Wenn es nun wirklich notwendig ist, dass mein Kind fremd betreut wird? Dann versuche ich mir selbst eine solide Wissensgrundlage zu erwerben. Ein sehr sachlicher Bericht zum Thema ist die Sicht eines Arztes und Bindungsforschers sowie die «Nichd-Studie». Letztere ist die größte Langzeitstudie zur frühkindlichen Fremdbetreuung von Kleinkindern, die zeigt, dass der emotionale Bereich in den ersten Lebensjahren eines Menschen erstrangige Bedeutung hat und persönliche, kontinuierliche, umfassende Zuwendung benötigt. Kleinkinder können einander nicht gegenseitig Zuwendung geben oder auf Gefühle des anderen eingehen. Das können nur Erwachsene. Deswegen – in Absprache mit der Krippe – nur die wirklich nötige Zeit buchen. Denn das oben genannte «elementare Verlangen nach Nähe und tiefer emotionaler Bindung an ihre Eltern» ist ja bei unserem Baby oder Kleinkind weiterhin da.
Bindungsrituale
Mit dem Abholen beginnt die Mama- oder Papa-Zeit. Hier fädeln wir Eltern selbst ein, wie der restliche Tag verläuft. Kinder nehmen sehr genau wahr: Ist Mama oder Papa jetzt wirklich innerlich präsent, wenn wir uns wiedersehen? Bin ich überhaupt richtig wahrgenommen?
Der wichtigste Mensch in der Abholsituation ist das eigene Kind. Daher: es spürbar herzlich begrüßen – Arme weit ausbreiten, das Kind anstrahlen, mit seinem Namen ansprechen, in den Arm nehmen und herzen. Liebevolle Berührung macht so viel gut. Deswegen das Kind ruhig einen Moment halten und es streicheln. Nicken, große Augen, lächeln. Der Austausch dieser typischen Bindungsrituale ist beim Abholen tausendmal wichtiger als die unselige Frage: «Na, wie war’s denn? Was habt ihr heute gemacht?» Auf so was antworten Kinder sowieso nicht – wie jeder weiß.
Bewegen bringt Segen
Den Heimweg möglichst so wählen, dass es noch ein gutes Stück Fußweg gibt – oder einen Umweg über den Spielplatz machen. Statt schnell, schnell ins Auto: anschnallen, stillsitzen, schimpfen, weil das Kind nicht folgt.
Das Kind braucht wenigstens ein paar Minuten Auslauf unter den Augen der Eltern. Es kann da seinen natürlichen Bewegungsdrang ausleben und gesehen werden beim Rennen, Springen, Hüpfen, Klettern. Das Gesehenwerden ist so wichtig: nicken, große Augen, lächeln.
Falls das Kind mit dem Auto abgeholt wird: einfach mit Absicht fünf Minuten weiter weg parken. Der gemeinsame Fußweg tut allen gut. Auch uns Erwachsenen.
Wieder zu Hause
Zu Hause sollten Sie mit dem Kind gut in Kontakt bleiben. Ohne Medien dazwischen. Falls kein lebensnotwendiger Anruf erwartet wird: den Anrufbeantworter nutzen. Radio, Kassetten, Bildschirmspiele, Fernsehen haben definitiv Pause. «Warum definitiv?» Das Kind braucht Gelegenheit, jetzt bei sich selbst anzukommen. Nicht schon wieder neue Eindrücke, wo doch die Erlebnisse des Tages noch gar nicht verkraftet sind. Was dem Kind jetzt richtig gut tut: einfach nahe bei den liebsten Menschen zu sein, die es hat.
Neben den Eltern tätig sein dürfen
«Und wie soll das gehen?», meint eine Mutter. «Schließlich wartet ja der Haushalt. Ich muss das Abendessen richten und so weiter. Da ist es einfach nicht drin, die ganze Zeit mit den Kindern zu spielen.»
Das ist auch gar nicht nötig. Kinder müssen jetzt nicht «bespielt» werden. Sie möchten mit und neben den Eltern tätig sein. Sie wollen bei den Arbeiten, die nun zu Hause zu erledigen sind, mithelfen dürfen – etwa beim Staubsaugen, beim Tischdecken, beim Einfüllen der Wäsche in die Waschmaschine.
Der Vorteil, wenn wir Kinder einbeziehen, ist: Wir können ihnen das geben, was tagsüber nicht möglich war – Kontakt zu Mama und Papa. Bei dem, was zu tun ist, haben wir die Möglichkeit, miteinander zu plaudern. Immer wieder mal ein liebevoller Blick zwischendurch: große Augen, nicken, lächeln. Damit erlebt das Kind: Mama und Papa sind gerne bei mir, sie sprechen gerne mit mir. Das baut auf. Das ist mehr wert als irgendeine Süßigkeit an der Supermarktkasse, mehr wert als «die Sendung», die «alle» anderen sehen, denn es stärkt die emotionale Bindung.
«In den ersten beiden Lebensjahren hängt die gesamte psychische Entwicklung des Kindes entscheidend von der gemeinsamen Tätigkeit mit den Eltern ab», heißt es etwa zusammenfassend in einem Buch über den Einfluss von Familie und Krippe auf die Entwicklung von Kindern in der frühen Kindheit.
Qualitätszeit - Bewusst zu Hause
Es gibt viele Eltern, die sich einig sind: Einer von uns bleibt bewusst zu Hause bei den Kindern. Meistens ist das die Mutter. Inzwischen hat sich jedoch die öffentliche Meinungsbildung dahin entwickelt, dass Familien, die selbst ihre Kinder erziehen wollen, als Eltern zweiter Klasse angesehen werden.
Eine Mutter: «Ich komme mir vor wie ein Alien, wenn ich vormittags mit meinem Zweijährigen unterwegs bin. Ich bin fast die Einzige. Sonst sind nur Mütter mit Neugeborenen unterwegs. Dann werde ich oft komisch angesprochen, und die Leute sagen: ‹Was machst du den ganzen Tag so zu Hause? Warum gehst du nicht arbeiten?› Ich fühle mich dann immer irgendwie genötigt, mich zu rechtfertigen.»
Doch rechtfertigen ist absolut unnötig.
Eine Mutter berichtet: «Wenn ich komisch angesprochen werde, dann sage ich: ‹Ich leite erfolgreich und glücklich ein kleines Familienunternehmen. Punkt.› Dann ist Ruhe.»
Alle, die bewusst bei ihrem Kind bleiben, verdienen Respekt. Da dieser öffentlich nicht gewährt wird, ist es unbedingt hilfreich, einander den Rücken zu stärken. Sich mit anderen Eltern zusammenzutun, sich zu bestimmten Zeiten zu verabreden. Es wird sich zeigen: Man ist da gar nicht so allein. Einander finden – dazu hilft am besten, selbst die Initiative zu ergreifen. «Ich habe ja nur gestaunt», sagt eine Mutter, «als ich so eine Annonce eingestellt habe, wie viele nette Menschen sich gemeldet haben. Eine wunderbare Erfahrung.» Und die kann jeder machen. Denn wenn man wartet, bis ein anderer es tut, kann es lange dauern.
Ein kleines Kind hat in den ersten zwei bis drei Lebensjahren ein elementares Verlangen nach Nähe und emotionaler Bindung an die Eltern, selbst wenn es schon ganz mutig auf Erkundungstour geht. Es ist ihm wichtig, im Blick des Erwachsenen zu bleiben. Zwischendrin wendet es sich ihm immer wieder kurz zu, um zu erkunden: Schaust du auch?
Deswegen unbedingt im Blickkontakt sein. Daran merkt das Kind: Ist alles in Ordnung? Also gut, dann weiter auf Entdeckungsreise! Mit dieser ständig vom Kind eingeholten Rückversicherung stärkt es sein Selbstwertgefühl.
Oft ist es jedoch für Eltern notwendig zu überlegen: Wie ist denn das, wenn wir tagsüber nicht bei unserem Kind sein können?